Eine der Hauptaufgaben eines Produktteams ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des Produkts. Während man als Produktmanager seine täglichen Aufgaben erledigt, denkt man bereits über das nächste Quartal nach. Fragen wie man das Produkt in Bezug zu seinen aktuellen Initiativen weiterentwickelt, sind ständig präsent. Es ist ein fortschreitender Denkprozess, der sich nicht an die Grenzen von Quartalen oder Planungssystemen wie Objective Key Results (OKR) hält.
Dieser Denkprozess und die Vorbereitung der kommenden Initiativen ist ein wesentlicher Teil der Rolle des Produktmanagers. Versteh‘ mich nicht falsch, ich spreche nicht von einer detaillierten Vorplanung, stattdessen solltest du einen groben Plan entwerfen, den du zusammen mit deinem Produktteam für eure Zielerfüllung verfolgen kannst.
Am Ende steht der Mehrwert für deine Kunden und dein Unternehmen gleichermaßen im Vordergrund. Am besten in Verbindung mit den Unternehmenszielen oder der Strategie.
Planungshilfe
Vor etwa zwei Jahren hat mich mein Kollege Martin Heckmann in die Welt der Produktziele eingeführt. Mit den Produktzielen kannst du den Weg definieren, den du und dein Team in den nächsten sechs bis zwölf Monaten einschlagen wollt. Du kannst sie nutzen, um deine Ambitionen gegenüber deinem Management zu kommunizieren und deinen Erfolg damit messen. Sie erlauben dir auch, mit deinen Initiativen fokussiert zu bleiben, denn es passiert zu leicht, dass man sich im Laufe des Jahres verliert.
Wahrscheinlich denkst du, wozu eine weitere Planungsebene einführen. Wir arbeiten ja bereits mit der Unternehmensvision, den Unternehmenszielen, der Geschäfts- und Produktstrategie und schneiden alles in feine OKR-Happen. Wie passen sich da die Produktziele ein?
Produktziele vs Produktstrategie
Seit der neuen Fassung vom November 2020 enthält der Scrum Guide ebenfalls Produktzielen. Definitionsgemäß sitzen sie direkt über der Produktstrategie. Der Product Samurai beschreibt sie als „Produktziele sind messbare Sprungbretter, die uns auf dem Weg zu unserer Produktvision voranbringen sollen.“1
In seinem neuesten Buch „Empowered“2 spricht Marty Cagan über die Produktstrategie und ihre Bedeutung. In seiner Definition soll der Head of Product die Produktstrategie definieren. Der Begriff „Strategie“ ist manchmal sehr irreführend und führt in vielen Fällen zu Debatten, wem die Strategie gehört, insbesondere zwischen dem Produktmanagement und dem Business Owner. Ich würde lieber den Begriff „Goal“ verwenden und verweise auf das, was Cagan dazu geschrieben hat.
„Strategie“ als Begriff ist mehrdeutig, da es sie auf jeder Ebene für so ziemlich alles gibt – Geschäftsstrategie, Go-to-Market-Strategie, Wachstumsstrategie, Vertriebsstrategie, Discoverystrategie, Lieferstrategie und so weiter. Was auch immer das Ziel ist, deine Strategie ist die Art und Weise, wie du planst, dieses Ziel zu erreichen.‘
INSPIRED: How to Create Tech Products Customers Love (Silicon Valley Product Group)
Unternehmensaufbau und Kontext
Unternehmen sind sehr vielfältig. Es gibt kleine Start-ups mit einem oder gar keinem Produktmanager, bei denen der Firmeninhaber die Unternehmensvision definiert, aber oft nicht alle Ebenen bis hin zu konkreten Produktzielen vorgibt. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich große Konzerne mit dutzenden Produktteams. Wenn viele Teams an den gleichen Unternehmenszielen arbeiten, muss man eine weitere Ebene der Komplexität bedenken, die Abstimmung unter den Teams.
Am Ende solltest du als Produktmanager an Themen arbeiten, die für deine Kunden den Unterschied ausmachen und somit einen Einfluss auf das Geschäft haben. Unabhängig davon, ob du der einzige Produktmanager bist, das Produkt für einen bestimmten Geschäftsbereich leitest oder der Gründer des nächsten Unicorn-Startups sein wirst. Was ich im Folgenden beschreibe, ist ein Weg, wie du und dein Team einen roten Faden für eure kommende Produktarbeit herstellen könnt.
Die Geschäftsführung setzt in der Regel ein Ziel für das Jahr fest. Beispiele wie „Anzahl der Abonnements erhöhen“ oder „Umsatz um 10 % steigern“ sollten bekannt klingen. Diese Ziele müssen sich auf das übertragen lassen, woran du und dein Team in den kommenden Monaten arbeitet. Wir wollen das Jahr mit einem klaren Ziel vor Augen beginnen. Wir wollen wissen, was wir bis zum Ende des Jahres erreichen wollen. Zuerst musst du dir Ideen überlegen, wie du das gesetzte Ziel angehen kannst. Im besten Fall hast du recherchiert und weißt, was die drängendsten Probleme deiner Kunden sind. In einem zweiten Schritt formulierst du Produktziele aus den Ideen. Zum Schluss erstellst du aus den Produktzielen einen groben Plan. Damit erhältst du ein Werkzeug, mit dem du deine Pläne kommunizieren kannst und das die Abstimmung mit Stakeholder und anderen Produktteams erleichtert.
Themenfindung mit dem Team
Eine Herangehensweise ist es, gemeinsam mit dem Produktteam Ideen für Initiativen zu entwickeln.
Lade eine Anleitung für den Workshop über Google Slides herunter.
Ich empfehle, einen Workshop von etwa zwei Stunden zu ermöglichen. Nutze unbedingt Online-Kollaborationstools3, da sie dir das Leben für die nächsten Schritte erleichtern. Präsentiere die Unternehmensziele, die Vision oder andere Details, die deine Geschäftsführung als gewünschtes Ergebnis vorgegeben hat. Diese bestimmen deinen Gedankenrahmen.
Je nach Struktur und Größe deines Unternehmens solltest du die Sitzungen aufteilen. Zum Beispiel kannst du entweder einen Workshop pro Produktteam oder mehr high-level pro Geschäftseinheit durchführen. Konzentriere dich dabei auf deine Kernzielgruppen, damit du am Ende auch umsetzbare Produktziele erarbeitest.
Nimm dir etwa 15 Minuten Zeit, präsentiere und beantworte Fragen. Damit habt ihr euer Spielfeld für eure Ideen abgesteckt. Stelle deinem Team die folgende Frage. „Wie können wir unser Produkt für unsere Kunden verbessern, um zum gesetzten Ziel beizutragen?“ Du wirst sehen, dass dein Team und insbesondere deine Entwickler mit vielen Ideen aufwarten werden. Gib jedem Teilnehmer etwa 20 Minuten Zeit, um seine Gedanken aufzuschreiben. Danach lass jeden seine Ideen präsentieren und gruppiert sie gemeinsam. Im Anschluss gewichte die Ergebnisse mithilfe eines Dot-Votings. Das wird in etwa eine Stunde dauern. Die daraus resultierenden Themen werden die Basis für deine Produktziele sein.
Produktziele definieren
Mit deiner priorisierten Liste von Themen bist du bereit, deine Produktziele zu definieren. Das kannst du alleine machen, besser du setzt dich mit deinem Produktdesigner und Tech-Lead zusammen. Ziel ist es, das Canvas des Produktziels so gut wie möglich auszufüllen. Beginne hier mit dem Thema, das die meisten Stimmen erhalten hat.
Bezüglich Gewichtung: Wenn du auf einer grünen Wiese beginnst, kannst du, wie im Abschnitt zuvor beschrieben, ein einfaches Dot-Voting verwenden. In den meisten Fällen haben wir aber bereits eine Liste von Ideen oder andere Daten zur Verfügung. Hier empfehle ich einen Backlog aufzubauen und eine Sizing-Methode wie ICE zu nutzen. Ich mag besonders den Confidence Meter von Itamar Gilad.4
Lade das Canvas für ein Produktziel über Google Slides herunter.
Das Ausfüllen des Canvas ist ganz einfach. Zuerst nimmst du alle Ideen für das Thema, die du während des Workshops gesammelt hast, und schreibst sie in den Abschnitt „Ideen“.
Im zweiten Schritt bestimmst du die Zielgruppe und die Metriken, die du bewegen willst und schreibst sie in die entsprechenden Abschnitte. Du solltest die Zielgruppe so detailliert wie möglich festlegen, einfach „Alle Nutzer“ anzusprechen, schafft keinen Fokus. Das Gleiche gilt für die Metriken, definiere eine primäre Metrik und nur ein paar unterstützende Hilfsmetriken. Nachdem du deine Zielgruppe und Metriken definiert hast, kann es sein, dass einige Ideen aus dem Rahmen fallen. Ich empfehle, diese Ideen aus dem Produktziel zu entfernen. Auch hier hat der Fokus Vorrang.
Mittlerweile hast du ein klareres Bild davon, was du erreichen willst. Identifiziere im nächsten Schritt alle unbekannten Dinge. Siehst du Abhängigkeiten mit anderen Teams, um deine Initiativen abzuschließen? Hast du Fragen, die aufgetaucht sind, während ihr die Ideen, die Zielgruppe und die Metriken diskutiert habt? Dokumentiere dies im Abschnitt „Offene Fragen“.
Mit all den Einzelteilen kannst du fortfahren und dein Produktziel definieren. Schreibe in ein oder zwei Sätzen auf, was du erreichen willst und gib deinem Ziel eine knackige Überschrift.
Wiederhole dies für alle Themen, die du im Workshop gesammelt hast. Beachte bitte, dass viele Produktziele nicht unbedingt besser sind. Du solltest so viele erstellen, wie du bewältigen kannst, und das hängt von vielen Faktoren ab.
- Was für eine Art von Teamstruktur hast du?
- Was ist die Rolle deines Teams (z. B. Experience- oder Plattformteam)?
- Welche Art von Zielen hast du erstellt?
Es macht einen Unterschied, ob du die Nutzererfahrung der Konto-Erstellung verbessern oder ob du deine erste mobile App erstellen willst.
Einen Plan etablieren
Den wichtigsten Teil der Arbeit hast du bereits erledigt. Jetzt ist es an der Zeit, deine Produktziele für den kommenden Zeitraum festzulegen und zu kommunizieren. Wenn du deine Ziele zu Beginn des Jahres erstellst, möchtest du höchstwahrscheinlich deine Pläne für die nächsten sechs bis zwölf Monate vorstellen. Hierfür können wir einen Plan erstellen, der darstellt in welcher Reihenfolge wir unsere Produktziele angehen wollen. Wir wollen mit unserem Plan nicht zu stark ins Detail gehen. Bei einem Zeitraum von einem Jahr bleiben wir bei einer vierteljährlichen Struktur. Ein Produktziel kann sich dennoch ohne Probleme über mehrere Quartale erstrecken. Nimm deine Produktziele und verteile sie auf die Quartale. Behalte jedoch im Hinterkopf, dich nicht auf zu viele Produktziele festzulegen. Abhängig von deiner Teamstruktur und den Zielen selbst erlaube einen Fokus deiner Arbeit mit maximal zwei Produktzielen pro Quartal.
Lade die Vorlage für den Plan der Produktziele über Google Slides herunter.
Zusammenfassung
Mit deinem Plan kannst du mit deinem Management kommunizieren, welche Initiativen du zur Erreichung deiner Ziele anstrebst. Du kannst die Gewichtung der Initiativen erklären und welche Ideen sich dahinter befinden. Zudem ist klar erkennbar, welche Metriken und Zielgruppen deine Initiativen beeinflussen werden.
Wie alle Dinge im Leben und besonders in der digitalen Produktentwicklung ändert sich vieles und du musst dich permanent anpassen. Die Produktziele bieten eine high-level Sicht auf deine Pläne. Passe sie an, während sich dein Produkt kontinuierlich weiterentwickelt.
- Du kannst über die Ankündigung, die Produktziele in den Scrum Guide aufzunehmen, im Blog von scrum.org lesen: https://www.scrum.org/resources/blog/product-goal ↩
- Das neue Buch von Marty Cagan “Empowered” ist mal wieder eine Enzyklopädie für das Produktmanagement. https://svpg.com/empowered-ordinary-people-extraordinary-products/ ↩
- Wir haben gute Erfahrung mit dem Tool Miro gemacht. ↩
- Ich selbst nutze die Variante RICE. Hier wird noch die Reichweite hinzugenommen. https://www.intercom.com/blog/rice-simple-prioritization-for-product-managers/ ↩
Literaturtipp
Klickt, kauft und macht uns reich – unser Literarturtipp zum Thema. Das Standardwerk von Marty Cagan, ein Muss für jede/jeden Produktmanager:in oder jede/jeder die/der es werden will:
[…] die Zielsetzung zu nutzen. Daraus lassen sich dann wunderbar gemeinsame funktionsübergreifende Produktziele erstellen, um diese dann in die Objectives and Key Results zu […]