Viele Unternehmen beanspruchen für sich eine lernende Organisation zu sein. Das heißt Wissen aneignen, ausprobieren, Erfolg haben oder auch mal scheitern. Zum Lernen gehören deshalb Misserfolge und besonders das Teilen von Misserfolgen. Das auszuhalten, braucht eine entsprechende Kultur und die richtigen Rahmenbedingungen. Wir möchten Euch heute erzählen, wie wir durch ein Format namens “Fail Fast” einen Rahmen dafür geschaffen haben, um einen Schritt hin zu einer “Learning Organisation” zu machen.
Es begann irgendwo in Mexiko
Der Legende nach haben sich fünf Freunde in Mexiko während einer durchzechten Nacht und vielen Diskussionen über ihre unternehmerischen Erfahrungen gefragt, warum immer nur über die Erfolge der Zuckerbergs und Gates’ dieser Welt geredet wird, aber niemand die eigenen Misserfolge teilt. Daraus hat sich innerhalb weniger Jahre eine weltweite Bewegung, die sogenannten Fuckup Nights, entwickelt (siehe fuckupnights.com).
Von Mexiko zurück nach Berlin
Obwohl sich das Prinzip der Fuckup Nights besonders für gescheiterte Geschäftsmodelle in der Startup-Szene anbietet, hat es mittlerweile auch bei etablierten Unternehmen Einzug gehalten. Ein Beispiel dafür ist die Otto Group, die seit über 70 Jahren einer der Marktführer im Versandhandel ist. Das erste Event dieser Art und die dabei vorgestellten “Failures” wurden sogar im Firmenblog mit der Öffentlichkeit geteilt: ottogroupunterwegs.com.
Wir sind natürlich noch keine 70 Jahre alt und trotzdem müssen wir uns wie jedes Unternehmen permanent weiterentwickeln und lernen. Die Transformation hin zu agilen Werten und Arbeitsweisen hat sich bei mobile.de in den letzten Jahren enorm beschleunigt und trägt dazu bei, dass wir wesentlich mehr ausprobieren und experimentieren. Experimente passieren aber nicht nur auf unserer Plattform, sondern auch in Bezug auf unsere Organisationsform, Kommunikation und unsere Meeting- und Präsentationsformate.
Fail Fast – Die ersten Schritte
Der Startschuss erfolgte 2018 in unserer Produkt- und Tech-Abteilung. Je mehr wir über die Notwendigkeit einer konsequenten agilen Transformation nachdachten, desto mehr wurde uns bewusst, dass wir häufig über Erfolge sprechen, aber nur selten über die Misserfolge. Für letzteres gab es schlicht keinen Raum und auch kein Format über die teaminternen Retrospektiven hinaus. Dadurch bestand die Gefahr, eine Chance zu verpassen, nämlich uns als Organisation kontinuierlich zu verbessern und uns noch stärker weg von einer Fehler-, hin zu einer Lernkultur zu entwickeln.
Wie bei der agilen Produktentwicklung ist es auch bei der Einführung von neuen Formaten und Zeremonien wichtig, sich am Prinzip “Build-Measure-Learn” zu orientieren. In unserem Fall hatten wir mit einer kleinen Gruppe, die das Thema lernende Organisation spannend fand, einen Testlauf gemacht, bei dem jeweils ein “Failure” aus den Bereichen UX, Produkt und Technology vorgestellt wurde. Wir wollten dabei herausfinden, ob und in welcher Form (Dauer, Präsentationsformat und Rahmen) wir eine FuckUp Night bei mobile.de etablieren können.
Fail Fast – Lasst uns einfach anfangen
Bei der ersten “offiziellen” Fuckup Night einige Wochen später konzentrierten wir uns ausschließlich auf die Produkt- und Tech-Abteilung. Andere Unternehmensbereiche sollten bei erfolgreicher Einführung Schritt für Schritt eingebunden werden. Als Rahmen hatten wir nach den Erfahrungen des Testlaufs folgende Kriterien festgelegt:
- Kontext idealerweise auf mobile.de bezogen, aber kein Muss
- Präsentationsdauer pro Story maximal 7-10 Minuten
- Story Inhalt: 1. Hintergrund, 2. Failure im Detail, 3. Learnings
- Format frei wählbar – PowerPoint, freie Erzählung, Rollenspiel usw.
- Spaß und Interaktion stehen an erster Stelle
Der zeitliche Rahmen war 60 Minuten (drei Stories) zuzüglich einer kurzen Paneldiskussion zum Thema Learning Organisation. Um sowohl die Attraktivität des Formats als auch das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, hatten wir Drinks und Pizza für alle bestellt.
Die Spannung beim Planungsteam war hoch, da wir nicht wussten, ob das Format überhaupt auf Interesse stößt. Die Session wurde letztendlich ein voller Erfolg. Wir zählten immerhin 30 anwesende Kollegen und bekamen ein klares “Go” als Feedback, weitere Fuckup Nights zu organisieren.
Fail Fast – Dann skalieren wir mal
Bei den ersten Sessions mussten wir noch aktiv auf die Kollegen zugehen, um Geschichten über “Failures” auf die Agenda zu bekommen. Im Laufe der Zeit bekamen wir immer häufiger Anfragen aus den Teams, was ein Zeichen für eine höhere Bereitschaft ist, Misserfolge auch mit einer größeren Gruppe zu teilen.
Als Frequenz für die Fuckup Night legten wir einmal pro Quartal fest und weitere Stakeholder aus anderen Unternehmensbereichen wurden eingeladen. Besondere Aufmerksamkeit schafften Präsentationen und Stories unserer Führungskräfte. Leider ist es in vielen Organisationen noch nicht selbstverständlich, dass Manager vor ihren Mitarbeitern offen über Fehler, Misserfolge und Schwächen reden. Wenn die Führungsebene dieses Modell aber selbst vorlebt, kann eine Menge positiver Energie entstehen und damit Scheitern nicht mehr als Makel sondern als Chance begriffen werden.
Fuckup Night 2.0: Fail Fast
Letztes Jahr kam dann Corona und damit die Frage auf, wie wir mit dem Format umgehen sollen. Eine Krise bedeutet auch immer die Möglichkeit, etwas Neues zu versuchen. Statt uns auf engem Raum bei Bier und Pizza zu treffen, mussten wir auf ein virtuelles Format wechseln. Dadurch konnten wir das Konzept sehr einfach auf das gesamten Unternehmen ausrollen.
Mittlerweile nehmen im Schnitt mehr als 100 Kollegen an den Sessions teil. Selbst die Geschäftsführung nutzt den Rahmen, um Ihre Misserfolge und “Learnings” zu teilen, was von den Mitarbeitern als sehr positiv wahrgenommen wird. Zudem haben wir aufgrund des Feedbacks den Namen des Formats geändert. Aus “Fuckup Night” wurde “Fail Fast”, was dem Grundkonzept viel mehr entspricht. Früh scheitern bedeutet auch ein früheres Lernen aus Fehlern und dadurch am Ende einen schnelleren Erfolg.
Fail Fast – Und was haben wir gelernt?
Fail Fast hat sich bei mobile.de fest etabliert und hilft uns, in einer konstruktiven Weise nicht nur die Misserfolge, sondern auch die Erkenntnisse aus den Misserfolgen zu teilen. Ein solches Format alleine wird es niemals schaffen, eine Lernkultur im Unternehmen zu etablieren. Es ist jedoch ein wichtiger Baustein neben vielen anderen Ansätzen und schafft einen Rahmen, um über die agilen Team-Zeremonien wie Retrospektive und Post Mortem hinaus, zu lernen.
Aus unserem Ansatz haben wir gelernt, was es braucht, um mit Fail Fast erfolgreich zu sein. Hier unsere 5 Tipps zum Nachmachen:
- Klein starten (aka “MVP”) und dann skalieren
- Einen oder mehrere Owner für die Entwicklung des Formats bestimmen
- Führungskräfte früh einbinden
- Regelmäßigkeit etablieren (z.B. einmal im Quartal)
- Interaktion und Diskussion während der Sessions fördern
Und nun viel Spaß beim Ausprobieren und Lernen!
Literaturtipp
Klickt, kauft und macht uns reich – der Literaturtipp zum Thema lernende Organisation:
Bild 1: Konfuziustempel (Peking) von Martin Heckmann