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Storytelling – Erzählt Geschichten!

Storytelling – Ihr kennt die Termine bei Euch, an denen die neuen Produktideen und kommenden Projekte präsentiert werden. Das passiert besonders dann verstärkt, wenn ein Team, ein Bereich oder das Unternehmen als Ganzes neue Initiativen angeht.

Storytelling – Um was geht’s denn?

Genau vor dieser Herausforderung stand ich als agiler Coach mit einem Team. Der Auftrag bestand darin, für den kommenden Vertriebszyklus das Portfolio mit einem neuen Produkt zu erweitern. In mehreren an das Design Thinking angelehnten Workshops hatten wir einen Ideenspeicher angelegt, evaluiert und einen Großteil davon wieder verworfen. Eine Produktidee befand das Team am Ende aber als erfolgsversprechend und machte sich daran, diese konzeptionell auszuarbeiten, unter anderem mit Hilfe eines Produkt Canvas und den zuvor ausgearbeiteten Personas.

Jetzt ging es darum, das Konzept zu präsentieren und damit in die Diskussion mit den internen Stakeholdern, der Geschäftsführung und ausgewählten Kunden zu gehen, um so früh als möglich wichtige Rückmeldung für die Entscheidungsgrundlage zu bekommen, ob die Idee in dieser oder in modifizierter Form weiterverfolgt werden kann oder ggf. sogar von Grund auf hinterfragt werden muss.

Alte Verhaltensmuster im agilen Umfeld

An dieser Stelle gebe ich 30 Sekunden Bedenkzeit und stelle die Frage: „Was würdest Du als nächstes tun?“. Die top vier Antworten sind wahrscheinlich folgende:

  • „Ich würde als Führungskraft meinen Produktmanager beauftragen, die ersten Mockups zu erstellen, damit wir uns das von der Bedienung her besser vorstellen können.“
  • „Ich würde als Product Owner so schnell als möglich in einen Anforderungsworkshop gehen und die Stories herunterbrechen, damit wir eine erste grobe Aufwands- und Zeitschätzung haben.“
  • „Ich würde als Business Unit Leiter bis nächste Woche ein Konzeptpapier anfertigen und einen Business Case errechnen.“
  • „Ich würde als IT-Leiter erst mal das Team um eine Machbarkeitsanalyse bitten, um zu sehen, ob wir das aktuell technisch überhaupt leisten können.“

Was passiert in der Realität, auch in einem selbsternannten „agilen‘ Umfeld“? Das Konzept wird über mehrere Wochen in einem kleinen Kreis erarbeitet, ggf. durch eine „Mafo“ flankiert, von den Entscheidungsträgern „abgesegnet“ und dann – vornehmlich in Formaten wie einem Company Meeting, All Hands o.ä. – den Kollegen vorgestellt.

Das läuft in der Regel nach folgendem Muster ab: „Aufgrund von Messungen, Recherchen und Befragungen haben wir herausgefunden, dass […]. Wir werden daher folgendes Projekt umsetzen […], die ersten Mockups seht ihr hier…, nach der ersten Aufwandsschätzung brauchen wir […]“. Sofern das Produktmanagement das Prinzip von Build-Measure-Learn verinnerlicht hat – was ich bislang leider bei noch keinem Unternehmen in ausreichender Form gesehen habe – werden noch die relevanten KPI genannt, auf die sich das Team und die verantwortlichen Product Owner verpflichten. This is it.

Die Reaktion? Eine emotionale Distanz zum Produkt stellt sich bei den Adressaten ein und das Gefühl, vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Noch viel schlimmer: das WARUM wird nicht verstanden. Also warum machen wir das eigentlich, welches und wessen Problem wollen wir damit lösen?

Bei einer meiner letzten Firmen in der Rolle des ScrumMasters habe ich mir nach solchen Präsentationen die Mühe gemacht, einige Zuhörer direkt im Nachgang zu fragen, was sie „mitgenommen“ haben und was das für sie selbst und ihre kommenden Aufgaben bedeutet. Das Ergebnis war ernüchternd, der „Behaltungsgrad“ trotz bunter Bilder und multimedialer Untermalung lag nahe null. Frei nach George Bernard Shaw: „Das größte Problem mit der Kommunikation ist die Illusion, sie sei gelungen.“ Oder: „Die größte Gefahr der Kommunikation ist die Illusion, dass sie stattfindet“ [Paul Watzlawick]. Aber warum ist das so?

Storytelling – Für Geschichten sind wir doch zu alt

Es fehlt die Story, die Geschichte dahinter. Schon immer nutzen Menschen das Geschichtenerzählen (Neudeutsch: „Storytelling“), um Botschaften zu vermitteln. Das bekannteste Beispiel ist die Bibel als Sammlung von Geschichten und Gleichungen. Die Visualisierung von Altagsgeschichten in Bildern findet sich auch in den Höhlenmalereien von Lascaux wieder, datiert zwischen dem 17.-15. Jahrtausend v. Chr. Oder denken wir an Märchen und Kindergeschichten, wie z.B. der Struwwelpeter, die eine wichtige Rolle in der Kindererziehung spielen und metaphorisch bestimmte Verhaltensprinzipien vermitteln wollen.

Höhlen von Lascaux: Saal der Stiere

Aber ist das für einen rational denkenden (erwachsenen) Menschen im 21. Jahrhundert, besonders in der Softwarebranche, nicht eher die „höhere Walldorfschule“ hat also im harten Business-Alltag nichts verloren? Schauen wir uns an, was Wikipedia zum Geschichten erzählen schreibt:

Storytelling (deutsch: „Geschichten erzählen“) ist eine Erzählmethode, mit der explizites, aber vor allem implizites Wissen in Form einer Metapher weitergegeben und durch Zuhören aufgenommen wird. Die Zuhörer werden in die erzählte Geschichte eingebunden, damit sie den Gehalt der Geschichte leichter verstehen und eigenständig mitdenken. Das soll bewirken, dass das zu vermittelnde Wissen besser verstanden und angenommen wird. Heute wird Storytelling neben der Unterhaltung durch Erzähler unter anderem auch in der Bildung, im Wissensmanagement und als Methode zur Problemlösung eingesetzt.

wikipedia.org

Auf User Story-Ebene halten wir uns sklavisch – meistens zu sklavisch – an das Prinzip der Nutzergeschichte. Ein professioneller ScrumMaster wird bei einer Retrospektive zu Beginn Geschichten einfordern, die die Teammitlgieder im abgelaufenen Sprint erlebt haben. Die erfolgreichsten Firmen beginnen alle mit Geschichten, die als Mythos gestrickt und gepflegt werden – ein perfektes Beispiel dafür ist Coca Cola: „Vom Arzneimittel zur globalen Blubberbrause„.

Gute Geschichten wecken Empathie für die Protagonisten und fördern damit direkt die Auseinandersetzung mit dem Kunden und seinen Problemen und Bedürfnissen. Bei neuen Produkten, Projekten oder Strategien tun sich Unternehmen aber damit schwer, obwohl es genau an dieser Stelle wichtig ist, die Organisation auf die nächste Stufe oder Stufen „mitzunehmen“. Wenn es dann passiert, dann häufig erst nach Fertigstellung im Rahmen der Vermarktung, aufwändig und kostspielig durch eine Agentur und dann für eine externe Zielgruppe.

Erst das Problem, dann die Lösungen

Zurück zur Herausforderung meines Teams. Die Produktidee stellte sich nach der ersten Analyse des Marktumfelds und der Zielgruppenbetrachtung komplexer oder besser „herausfordernder“ dar als zu Beginn angenommen. Wir wollten gerade deshalb schnell in die Diskussion mit anderen Teams, Kollegen und der Geschäftsführung gehen, um so früh als möglich herauszufinden, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Es ging uns darum, eine Präsentationsform zu wählen, die so konkret ist, um die Grundidee und den wertschöpfenden Charakter des Ansatzes zu vermitteln, auf der anderen Seite aber abstrakt genug, um sich nicht schon an dieser Stelle in Produktdetails zu verlieren und den Blick für alternative Ansätze zu verschließen.

Wir diskutierten im Team, ob wir ggf. ein kurzes Lo-Fi Video produzieren, verwarfen aber den Ansatz aufgrund des Zeitdrucks und der fehlenden Expertise wieder. Die verantwortliche Produktmanagerin konnte zum Glück aus dem Stegreif und in Windeseile aussagekräftige Bilder zu Papier bringen. Wir definierten zusammen die einzelnen Phasen des Storyboards, währenddessen sie die passenden Zeichnungen auf Flipchart Papier anfertigte. Schon beim Erstellen war im Vergleich zu vorherigen Projekten auffällig, dass wir uns nicht mit Feature-Details beschäftigten, sondern auf einer abstrakten Ebene blieben und damit wesentlich zügiger als sonst vorankamen, das heißt:

  • Skizzieren der wesentlichen Zielgruppen-Merkmale (Personas) in ihrem natürlichen Umfeld
  • Bildhafte Darstellung der Bedürfnisse als Ableitung der Problemstellung
  • Idealtypischer Ablauf des Szenarios, d.h. Interaktion der Protagonisten mit dem System und untereinander in Anlehnung an die klassische User- bzw. Customer Journey

Wir konnten auf diesem Wege in weniger als zwei Stunden eine Serie von Bildern anfertigen, um die wesentlichen Bestandteile der Produktidee zu beschrieben. Die Präsentation für die Vertreter der Stakeholderteams, Business Development und die Geschäftsführung erfolgte am Nachmittag. Die Teilnehmer waren zunächst überrascht, dass gänzlich auf die klassische Power Point Präsentation verzichtet wurde. Stattdessen führte das Team gemeinsam durch die Bildergeschichte. Wir hatten explizit vereinbart, dass wir dabei keine Detailfunktionen aktiv ansprechen.

Der Effekt war verblüffend, wir behielten einen Großteil des Meetings die anvisierte Flughöhe und diskutierten im Wesentlichen über die Zielgruppen, deren Bedürfnisse und wie wir die Produktidee am Markt und gegenüber der Mitbewerber positionieren können. Statt Aufwände und Projektlaufzeiten stand die Betrachtung der Kunden und deren Bedürfnisse im Vordergrund, statt technische Machbarkeit das Alleinstellungsmerkmal und mögliche Vermarktungschancen.

Am Ende hatten wir eine ausreichende Grundlage, um entscheiden zu können, ob und wie wir die Idee weiter verfolgen. Darüber hinaus besaß das Business Development dadurch eine „Story“ für die ersten Termine mit ausgewählten potentiellen Kunden. Das Feedback als Rückkanal aus diesen Terminen war für das Team enorm hilfreich und hat die weitere Entwicklung des Konzepts kontinuierlich mit beeinflusst.

Storytelling – „The whole idea is to kill your own baby“

Es gibt noch einen weiteren Vorteil gegenüber dem klassischen Vorgehen. Je konkreter und detaillierter eine Produktidee ausgearbeitet ist bevor sie mit der Realität konfrontiert wird, desto höher sind die bis dato entstandenen Kosten und damit das wirtschaftliche Risiko. Weiter nimmt die emotionale Affinität der Beteiligten zum eigenen „Produkt-Baby“ so stark zu, dass es ab einem gewissen Punkt immer schwieriger wird, es noch einmal grundsätzlich infrage zu stellen. „The whole idea is to kill your own baby – as fast as possible […] Are there any ugly babies out there? Yes, but never your own, you protect it, the more you feed it, the more you want to see it walk […]“ [Københavns Erhvervsakademi]. Siehe auch Pretotyping – Fake it before you make it!

Die Illustrationen hängten wir gut sichtbar in einem Arbeitsraum auf, vergleichbar mit einer „Bilderausstellung“, was für das Team in der Folge die zentrale „Feuerstelle“ für die weitere Ausarbeitung werden sollte. Das hieß, mit den Stakeholdern in Diskussion zu gehen und weiter in die Tiefe zu tauchen – bspw. erste testbare Papierprototypen für die Benutzerschnittstelle anzufertigen oder rechtliche Belange zu identifizieren.

Auch war zu beobachten, dass das Storyboard im Laufe der Zeit vom Team aufgrund neuer Erkenntnisse und Ideen modifiziert und ergänzt wurde. Die Geschichte wird damit Schritt für Schritt in die Realität entwickelt – über einfache Prototypen, ein Alpha-Testing und später bei der Durchführung mit ersten Referenzkunden.

In vielen Fällen kann ein Storyboard in Kombination mit einem Product Canvas und der/den Persona(s) das klassische Konzeptpapier ablösen und damit zu einem greifbaren und lebendigen Artefakt werden – ähnlich einer User Story, die ein „Versprechen“ für wertvolle Diskussionen ist. Es ist damit die einfachste und kostengünstigste Art eines Prototypen, aber nicht um die technische Machbarkeit zu testen, sondern um erste Hinweise zu erhalten, ob das Produkt grundsätzlich marktfähig ist.

Bild 2: Höhlen von Lascaux – Saal der Stiere von Ingeborg K

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